Running

Olympisches Gehen: Schneller als die meisten laufen

Jonathan Hilbert ist einer der letzten seiner (Gang-)Art. Er ist deutscher Meister im Gehen und dort die deutsche Zukunftshoffnung. Doch ist Gehen überhaupt eine Sportart? Bleibt sie olympisch? Wir haben #nachgefragt.

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#BeatYesterday: Jonathan, wie wird man eigentlich Geher?

Jonathan Hilbert: Wie die meisten Geher war ich eigentlich Mittelstreckenläufer. Doch auf dem Sportgymnasium zeigte sich schnell, dass ich für die Läuferspitze nicht talentiert genug war. Also fragten mich die Trainer in Erfurt, ob ich nicht das “Gehen” ausprobieren möchte. Meine Konditionswerte waren schon immer sehr gut. Und die sind beim Gehen besonders wichtig.

Auch die größte Hürde für jeden Geher meisterte ich schnell: die Technik. Als Geher müssen wir bei unseren Schritten Flugphasen vermeiden. Unsere Füße dürfen nicht gleichzeitig abheben. Außerdem muss das Knie gestreckt sein, sobald wir das Bein auf den Boden aufsetzen. Die Kniestreckung und der permanente Bodenkontakt sind die beiden wesentlichen Regeln beim Gehen. Das ist bei der Geschwindigkeit und auf Dauer extrem anstrengend. Ich sage immer: Man verinnerlicht die Technik oder man verinnerlicht sie nicht. Ich habe die Bewegungen intuitiv verstanden. Und am Ende ist es beim Gehen auch nicht anders als beim Fahrradfahren. Haben wir es einmal gelernt, verlernen wir es auch nie wieder.

#BeatYesterday: Du bist Deutscher Meister geworden, allerdings waren über die 50 Kilometer nur zwei Teilnehmer am Start, weil die anderen Konkurrenten an der EM teilnahmen. Dein einziger direkter Rivale schied nach kurzer Zeit aus. Wie motiviert man sich trotzdem zu einer Höchstleistung, wie Du sie gezeigt hast?

Jonathan: Am Ende zählt für mich nur die eigene Leistung. Ich wollte den Plan meines Trainers erfüllen, ihn sogar übertreffen. Das habe ich geschafft. Dafür mache ich ja diesen Sport – weil ich mich persönlich herausfordern und verbessern will. Ich trete zuallererst gegen mich selbst an – und ich bereite mich ein ganzes Jahr darauf vor. Damals bei den deutschen Meisterschaften muss ich sagen, ging ich auch für meine Zukunft.

2018 hatte ich ein Pechjahr. Als ich nach dem Frühjahrstrainingslager aus Spanien zurück nach Deutschland flog, geriet ich in eine Grippewelle. Ich wurde krank und verpasste wichtige Trainingszeiten und Wettkämpfe und konnte nicht an der Heim-Europameisterschaft in Berlin teilnehmen. Für mich als Mitglied des Perspektivkaders war das finanziell eine bedrohliche Situation. Ich werde zwar durch den Leichtathletikverband und die Sporthilfe gefördert, muss aber für internationale Trainingslager – also Flüge und Hotels – teilweise in Vorkasse gehen. Manche finanziellen Hilfen und der Verbleib in den Sportfördergruppen der Polizei sind an persönliche Resultate gekoppelt.

Die deutsche Meisterschaft war also ein Glücksfall. Ich konnte mich mit einem sehr guten Rennen rehabilitieren, meine Ziele erreichen und dadurch meinen Förderstatus behalten.

Die wichtigste Regel: Immer muss ein Fuß den Boden berühren. Anders als beim Laufen gibt es beim Gehen keine Flugphasen. ©privat.
Die wichtigste Regel: Immer muss ein Fuß den Boden berühren. Anders als beim Laufen gibt es beim Gehen keine Flugphasen. ©privat.

#BeatYesterday: Wir alle sind ja irgendwie Geher. Wir gehen zum Sport, in Restaurants, zur Arbeit. Ist Gehen überhaupt eine richtige Sportart?

Jonathan: Diese Frage stellen viele. Manche wollen uns Geher mit der Frage piesacken. Die meisten können sich jedoch nichts unter dem Gehen vorstellen und piksen ganz ohne bösen Willen. Gehen ist in der Tat sehr anstrengend und beansprucht ganz andere Körperbereiche als das Laufen. Besonders unser Hüftbeuger und der Schienbeinmuskel werden extrem belastet, da wir ja, wie erwähnt, keine Flugphasen haben dürfen und uns über die Ferse abrollen müssen. Das Schienbein und unsere Knie bleiben über die Zeit des Rennens belastet. Und mit “Zeit des Rennens” meine ich 50 Kilometer und mehrere Stunden. Der Schienbeinmuskel verhärtet sich schnell und schmerzt auf eine sehr unangenehme Art und Weise. Manche Läufer kennen den Schmerz vielleicht, sie spüren ihn gerade nach längeren Laufphasen zu Beginn einer Strecke. Die Anstrengung des Gehens lässt sich auch mit den Daten meiner Uhr abgleichen. In Portugal bin ich 35 Kilometer in ca. drei Stunden gegangen. Ich habe bei einer Körpergröße von 1,76 m und 63 Kilogramm 1680 Kalorien verbraucht und hatte einen durchschnittlichen Puls zwischen 140 und 150 Schlägen pro Minute – das ist im Bereich eines Marathonläufers. In Wettkämpfen durchstoßen manche Geher sogar die 200er-Puls-Grenze. Auch haben wir Geher ähnliche Laktatwerte wie Marathonläufer.

Gehen fordert, körperlich wie mental. Unsere Gehtechnik wird während des Wettkampfes von Kampfrichtern bewertet. Machen wir technische Fehler, führen unsere Schritte nicht korrekt aus, werden wir verwarnt. Machen wir zu viele Fehler, droht die Disqualifikation. Diesen Druck kennen klassische Läufer nicht.

Was man auch bedenken sollte: Bei der deutschen Meisterschaft bin ich die 50 Kilometer in 3 Stunden, 51 Minuten und 22 Sekunden gegangen. Das macht eine Kilometerpace von 4.36. Die meisten Amateurläufer träumen von so einer Zeit. Wir Geher gehen schneller als 99 Prozent der Weltbevölkerung überhaupt laufen kann.

Eine Südwest-Kulisse wie aus der Serie “Breaking Bad”. Für Geher Hilbert viel wichtiger: die Höhenluft. Diese ist wichtig für den Konditionsaufbau. ©privat.
Eine Südwest-Kulisse wie aus der Serie “Breaking Bad”. Für Geher Hilbert viel wichtiger: die Höhenluft. Diese ist wichtig für den Konditionsaufbau. ©privat.

#BeatYesterday: Wie gehst Du eigentlich privat zum Supermarkt und beim Sport in die Zukunft?

Jonathan: Wie jeder normale Mensch auch – nur etwas schneller. Die Geher-Technik wende ich nicht beim Gang ins Café an. Was ich aber zugeben muss: Das langsame Schlendern fällt mir extrem schwer. Wenn ich mit meinen Eltern wandern bin, sagen sie oft, dass ich nicht so vorweg marschieren soll. Sie kommen kaum hinterher. Selbst wenn ich ruhig mache. Sportlich schauen wir Geher zu den Olympischen Spielen 2020 in Japan und zu den Revolutionsplänen in unserem Sport. Die 20 und 50 Kilometerdistanzen sollen abgeschafft werden, dafür gibt es dann die 10 Kilometer und die 30-Kilometer-Strecke. Eine spezielle Schuhsohle, die technische Mängel in Echtzeit digital anzeigt, könnte die Kampfrichter ersetzen. Das Internationale Olympische Komitee will die Sportart spannender machen und die Attraktivität für die Fernsehzuschauer erhöhen. Wenn man mich fragt, geht es wie immer nur darum, mehr Geld zu verdienen.

Ich persönlich bin dagegen. Bei Olympia zählt ja auch die Historie. Seit 1932 gehören die 50 Kilometer Gehen dazu. Kann man das einfach so abschaffen? In London, 2012, säumten tausende Menschen die Straßen rund um den Buckingham Palace. Auch in Berlin jubelten die Zuschauer an der Strecke. Die Menschen hatten ihren Spaß, haben uns Athleten angefeuert und Stimmung gemacht. Die Begeisterung vor Ort für die Sportart wird meines Erachtens zu oft vergessen.

Und dann ist da noch das Nachwuchsproblem. Es gibt nicht viele Geher. Wir sind froh, wenn wir acht oder neun Geher in der Leistungsgruppe am Stützpunkt sind. Deshalb sind Olympia und die Öffentlichkeit wahnsinnig wichtig. Es geht also nicht nur um mich, sondern auch um die Zukunft der Sportart in Deutschland. Dafür will ich mein Bestes gehen.

Garmin Forerunner 945

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